Nominalstil in wissenschaftlichen Texten: Warum „die Durchführung der Analyse“ deine Leser*innen ermüdet

Wissenschaftliche Texte folgen eigenen Konventionen, die sich von alltäglicher Kommunikation unterscheiden. Während Präzision (die Genauigkeit und Eindeutigkeit sprachlicher Aussagen), Systematik (die methodische Strukturierung von Argumentationen) und begriffliche Klarheit (die eindeutige Verwendung fachspezifischer Terminologie) zu Recht als Qualitätsmerkmale gelten, führt ein bestimmtes sprachliches Phänomen häufig dazu, dass akademische Arbeiten unnötig schwerfällig wirken: der Nominalstil.

Besonders in geistes- und sozialwissenschaftlichen Abschlussarbeiten findet sich eine auffällige Häufung nominaler Konstruktionen. Anstelle von „untersuchen“ schreiben Studierende „eine Untersuchung durchführen“, anstelle von „analysieren“ erscheint „eine Analyse vornehmen“. Diese Tendenz zur Nominalisierung (die Umwandlung von Verben in Substantive) erzeugt einen bürokratisch anmutenden Sprachduktus, der die Lesbarkeit wissenschaftlicher Texte erheblich beeinträchtigt.

Was bedeutet Nominalstil und warum ist er problematisch?

Der Nominalstil bezeichnet eine Ausdrucksweise, bei der Handlungen, Vorgänge oder Zustände nicht durch Verben, sondern durch von Verben abgeleitete Substantive (sogenannte Deverbativa, also aus Verben gebildete Nomen) wiedergegeben werden. Diese Substantivierungen erkennst du häufig an den Endungen -ung, -heit, -keit, -tion, -enz oder -ität.

Während der Verbalstil (die verbbasierte Ausdrucksweise) „Der Forscher untersucht das Phänomen“ formuliert, bevorzugt der Nominalstil „Die Untersuchung des Phänomens durch den Forscher erfolgt“. Die zweite Variante benötigt mehr Wörter, verschleiert die handelnde Person und erzeugt eine distanzierte, oft schwerfällige Wirkung.

📌 Merke:
Nominalstil ersetzt aktive Verben durch Substantive und verlängert Sätze unnötig. „Die Durchführung einer Analyse“ benötigt fünf Wörter für denselben Sachverhalt, den „analysieren“ mit einem Wort ausdrückt.

Das grundlegende Problem des Nominalstils liegt in seiner aufblähenden Wirkung auf Satzstrukturen (der unnötigen Verlängerung von Sätzen durch zusätzliche Funktionswörter). Jede Nominalisierung erfordert zusätzliche Funktionswörter wie Artikel, Präpositionen und Hilfsverben, die den Satz verlängern, ohne zusätzliche Information zu transportieren. Während das Verb „analysieren“ eine klare Handlung bezeichnet, benötigt „die Durchführung einer Analyse“ bereits fünf Wörter für denselben Sachverhalt. Diese sprachliche Ineffizienz summiert sich über einen Text von sechzig oder mehr Seiten zu einer erheblichen Belastung der Lesbarkeit.

Darüber hinaus verschleiert der Nominalstil Verantwortlichkeiten und Akteur*innen. Formulierungen wie „Es wurde eine Befragung durchgeführt“ oder „Die Analyse erfolgte anhand folgender Kriterien“ lassen offen, wer eigentlich gehandelt hat. In wissenschaftlichen Arbeiten, in denen methodische Transparenz und nachvollziehbare Forschungshandlungen zentral sind, stellt diese Verschleierung ein substanzielles Problem dar.

Die 5 häufigsten Nominalisierungen und ihre verbalen Alternativen

In der Praxis wissenschaftlichen Schreibens lassen sich bestimmte Nominalisierungen mit besonderer Regelmäßigkeit identifizieren. Die folgenden fünf Konstruktionen gehören zu den am weitesten verbreiteten Beispielen akademischer Sprache, die durch Verbalstil (die verbbasierte Formulierung von Handlungen und Prozessen) erheblich an Prägnanz gewinnen würden.

📝Die Top 5 Nominalisierungen:
  • ❌ zur Durchführung bringen → ✓ durchführen
  • ❌ eine Analyse vornehmen → ✓ analysieren
  • ❌ zur Anwendung kommen → ✓ anwenden
  • ❌ in Betracht ziehen → ✓ betrachten
  • ❌ zum Ausdruck bringen → ✓ ausdrücken

„Zur Durchführung bringen“ oder „eine Durchführung vornehmen“ anstelle von „durchführen“ stellt vermutlich die prominenteste Nominalisierung dar. Statt zu schreiben „Die Durchführung der Interviews erfolgte im Zeitraum von März bis Mai“ lässt sich formulieren „Die Interviews wurden von März bis Mai durchgeführt“. Die nominale Variante benötigt elf Wörter, während die verbale Formulierung mit acht Wörtern auskommt.

„Eine Analyse vornehmen“ beziehungsweise „zur Analyse bringen“ anstelle von „analysieren“ findest du besonders häufig in empirischen Arbeiten. Die Formulierung „Es wurde eine Analyse der erhobenen Daten vorgenommen“ wirkt deutlich schwerfälliger als „Die erhobenen Daten wurden analysiert“. Während die nominale Konstruktion Distanz schafft, ermöglicht die verbale Form eine klarere Zuordnung der Forschungshandlung.

„Zur Anwendung kommen“ anstelle von „anwenden“ erscheint regelmäßig in methodologischen Abschnitten wissenschaftlicher Arbeiten. „Bei der Auswertung kam die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring zur Anwendung“ lässt sich prägnanter formulieren „Bei der Auswertung wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring angewendet“ oder „Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring“. Die zweite Variante integriert die Information über die Methode direkter in den Handlungszusammenhang.

💡 Du möchtest professionelle Unterstützung bei der stilistischen Überarbeitung deiner wissenschaftlichen Arbeit?

Erfahre mehr über unser Lektorat Argumentation →

Wann Nominalstil berechtigt und sogar notwendig ist

Trotz der beschriebenen Nachteile existieren Kontexte, in denen Nominalstil nicht nur akzeptabel, sondern funktional angemessen ist. Diese Differenzierung ist zentral, um nicht in einen mechanischen Verbalismus zu verfallen, der seinerseits die Qualität wissenschaftlicher Texte beeinträchtigen würde.

Fachterminologie

Fachterminologie (etablierte Begriffe einer wissenschaftlichen Disziplin) konstituiert sich häufig über Nominalisierungen, die als etablierte Begriffe fungieren und nicht aufgelöst werden sollten. Begriffe wie „Digitalisierung“, „Globalisierung“, „Emanzipation“ oder „Diskriminierung“ bezeichnen komplexe gesellschaftliche Prozesse, die sich nicht ohne Bedeutungsverlust verbalisieren lassen. Während „digitalisieren“ eine konkrete Handlung bezeichnet, meint „Digitalisierung“ den umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozess. Diese begriffliche Verdichtung ermöglicht es, komplexe Phänomene prägnant zu benennen.

Präzision durch begriffliche Differenzierung

Präzision durch begriffliche Differenzierung stellt einen weiteren legitimen Grund für Nominalisierungen dar. In theoretischen Kontexten kann es notwendig sein, zwischen verschiedenen Aspekten eines Phänomens zu unterscheiden. So bezeichnet „die Untersuchung“ das gesamte Forschungsvorhaben, während „untersuchen“ die konkrete Handlung meint. Wenn du auf dein Forschungsdesign als Ganzes referieren möchtest, ist „diese Untersuchung“ angemessen. Wenn du hingegen beschreibst, was konkret getan wurde, solltest du „untersucht wurde“ formulieren.

📌 Merke:
Nominalstil ist legitim für etablierte Fachbegriffe, begriffliche Differenzierungen und abstrakte Konzepte. Die Grenze verläuft zwischen notwendiger Fachsprache und unnötiger Aufblähung.

Vorher/Nachher: Texte im Vergleich

Die praktische Wirkung dieser Überarbeitung lässt sich anhand authentischer Beispielsätze aus studentischen Arbeiten verdeutlichen. Der folgende Absatz im Nominalstil demonstriert die typische Schwerfälligkeit akademischer Sprache:

❌ Nominalstil (58 Wörter):

Die Durchführung der Datenerhebung erfolgte im Zeitraum von März bis Juni 2024. Zur Anwendung kam dabei ein halbstandardisiertes Interviewverfahren. Die Auswertung der erhobenen Daten wurde unter Verwendung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring vorgenommen. Dabei kam es zur Identifikation von fünf zentralen Themenkomplexen, die im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

✓ Verbalstil (38 Wörter):

Die Daten wurden von März bis Juni 2024 mittels halbstandardisierter Interviews erhoben. Für die Auswertung wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring angewendet. Dabei ließen sich fünf zentrale Themenkomplexe identifizieren, die im Folgenden näher betrachtet werden.

Die Überarbeitung reduziert den Text von 58 auf 38 Wörter, also um mehr als ein Drittel, ohne Informationsverlust. Gleichzeitig werden die Forschungshandlungen direkter benannt und der Text gewinnt an Dynamik.

Ein weiteres Beispiel aus dem theoretischen Teil einer Arbeit:

❌ Nominalstil (67 Wörter):

Eine kritische Auseinandersetzung mit den vorliegenden Forschungsergebnissen führt zur Feststellung, dass es an einer systematischen Berücksichtigung intersektionaler Perspektiven mangelt. Die Notwendigkeit einer stärkeren Fokussierung auf die Verschränkung verschiedener Diskriminierungskategorien lässt sich aus den identifizierten Forschungslücken ableiten.

✓ Verbalstil (36 Wörter):

Die kritische Auseinandersetzung mit den vorliegenden Forschungsergebnissen zeigt, dass intersektionale Perspektiven nicht systematisch berücksichtigt wurden. Die identifizierten Forschungslücken machen deutlich, dass verschiedene Diskriminierungskategorien stärker in ihrer Verschränkung untersucht werden müssen.

So identifizierst du Nominalisierungen systematisch

Zur systematischen Identifikation von Nominalisierungen in deinen Texten empfiehlt sich die Nutzung der Suchfunktion (die Textsuche nach bestimmten Zeichenketten in Textverarbeitungsprogrammen) deines Textverarbeitungsprogramms. Such nach den Endungen -ung, -heit, -keit, -tion, -enz und -ität – diese markieren potenzielle Problemstellen, die einer kritischen Prüfung bedürfen.

Nicht jede identifizierte Nominalisierung stellt eine stilistische Schwäche dar, doch ermöglicht die systematische Durchsicht eine bewusste Entscheidung zwischen nominaler Fachterminologie und vermeidbaren Umschreibungen.

Besonders aufschlussreich ist die Analyse der Verbindungen (feststehende Wortkombinationen), die nominale Konstruktionen typischerweise begleiten. Formulierungen wie „zur Durchführung bringen“, „in Betracht ziehen“, „zum Ausdruck bringen“ oder „einer Prüfung unterziehen“ signalisieren umständliche Umschreibungen, die sich fast immer durch einfache Verben ersetzen lassen. Die bewusste Wahrnehmung dieser Muster schärft dein stilistisches Bewusstsein und erleichtert die Textrevision erheblich.

Fazit: Klarheit als wissenschaftliche Tugend

Die Vermeidung unnötigen Nominalstils stellt keine Absenkung wissenschaftlicher Standards dar, sondern trägt zur Realisierung eines zentralen wissenschaftlichen Ideals bei: der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen. Texte, die klar und prägnant formuliert sind, ermöglichen Lesenden einen direkteren Zugang zu den dargestellten Inhalten und erleichtern die kritische Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Argumenten.

Die systematische Überarbeitung nominaler Konstruktionen reduziert nicht nur die Textlänge, sondern erhöht gleichzeitig die Verständlichkeit wissenschaftlicher Darstellungen. Während etablierte Fachbegriffe und theoretische Konzeptualisierungen ihre nominale Form selbstverständlich beibehalten sollten, profitieren Beschreibungen von Forschungshandlungen, methodischen Vorgehensweisen und analytischen Schritten erheblich von verbalen Formulierungen.

🎯 Weiterführende Unterstützung:

Wenn du Unterstützung bei der stilistischen Überarbeitung deiner wissenschaftlichen Arbeit suchst, bietet Achtsames Lektorat spezialisierte Services für die Verbesserung von Argumentation, Kohärenz und sprachlicher Prägnanz.

Das Lektorat Argumentation prüft systematisch, wie nominale Konstruktionen deine Gedankenführung beeinträchtigen, und entwickelt konkrete Überarbeitungsvorschläge für eine klarere Darstellung deiner Forschungsergebnisse.